Als der nigerianische Sänger, Saxophonist und Bandleader Fela Kuti 1982 in dem Dokumentarfilm „Music Is The Weapon“ ankündigte, dass er bald Präsident werden wolle, konnte das noch als Ausdruck der Hybris eines etwas realitätsfernen Musikers verstanden werden. Als der Popstar Youssou N’Dour im Jahr 2011 nicht zu den senegalesischen Präsidentschaftswahlen zugelassen wurde, feuerte das die Proteste in den Straßen Dakars an. N’dour ist inzwischen immerhin Kulturminister geworden – von Hybris kann also nicht mehr die Rede sein. Was hat sich in Afrika an der Rolle der Musik und der Musiker in den letzten Dekaden geändert, dass etwas, das in den 1980ern noch undenkbar schien, heute Realität wird? Ein Blick in die Geschichte afrikanischer Musik kann diese Frage beantworten*.
Die Rolle der Musiker in vielen präkolonialen Gesellschaften Afrikas sah eine enge Beziehung zu den jeweils Mächtigen vor. Ob die Hoftrommler Burundis in Ostafrika, die Izimbongi der Zulu im südlichen Afrika, oder die Griots im Westen des Kontinents – sie alle hatten die Aufgabe Herrschaft zu legitimieren. Häufig übernahmen Musiker daher auch die Tätigkeiten von Historikern, Genealogen, Journalisten oder Diplomaten – sie besangen die Reichen, die Mächtigen, die Angesehenen – in einigen Gesellschaften waren die Preissänger aber auch die einzigen, denen es erlaubt war, die Eliten an ihre Pflicht zu erinnern oder sie öffentlich zu kritisieren.
Die Renaissance der Musik
Die Kolonialzeit wirkte sich recht unterschiedlich aus – teilweise verloren die Musiker ihre vormals bedeutsame Stellung, teilweise konnten sie sie an die neuen Gegebenheiten anpassen. Mit der Unabhängigkeit in den 1960ern begann in vielen Ländern eine Renaissance dieser höfischen Musik. Die neuen Eliten ließen sich gern als würdige Erben der einst großen präkolonialen Reiche feiern. Preisgesang war gern gesehen, nur selten war von Musikern auch Kritik zu hören. Das überrascht nicht: viele Musiker waren Staatsbedienstete, die in Nationalorchestern die jeweilige junge Nation auch international repräsentieren sollten, andere hingen finanziell von wohlhabenden Geldgebern ab. Obwohl sich bereits in der Kolonialzeit zumindest in einigen Ländern Afrikas Ansätze zu einer Musikindustrie entwickelt hatten, konnten nur wenige Musiker eine Existenz von Plattenverkäufen, Konzerten oder Auftritten in Bars bestreiten.
Einen Bruch mit dieser Norm wagte der eingangs erwähnte Musiker Fela Kuti. In seiner Jugend spielte er den in Nigeria und anderen Ländern Westafrikas verbreiteten Popstil „Highlife“, eine Musik, die, wie der Name bereits vermuten lässt, besonders die Eliten ansprach. Reisen und Ausbildung in Großbritannien und in den USA markierten eine Umorientierung Kutis: inspiriert vom Pan-Afrikanismus und der Black Power Bewegung nutzte er nun seine „Afrobeat“ genannte Musik, um radikale Kritik an lokalen Machthabern zu üben, die er als verlängerten Arm des westlichen Kapitals ansah. Derlei kritische Töne kamen im Westen beim Publikum durchaus gut an, mit Plattenverkäufen und einem eigenen Musikclub in Lagos konnte Fela sich eine unabhängige Basis schaffen, um seine Großfamilie, seine Musiker, also sein zur unabhängigen Republik deklariertes Gehöft zu finanzieren.
Lokale Rhythmen in der Popmusik: Verbreitung der "Weltmusik"
Abgesehen von seinen radikalen politischen Positionen kann Fela als Vorreiter verstanden werden. Eine Dekade später, also in den 1980ern, folgten viele afrikanische Musiker diesem Modell: über ein ökonomisches Standbein im Westen sicherten sie sich eine gewisse Unabhängigkeit vom heimatlichen Markt. Unter dem Marketingbegriff „Weltmusik“ wurden sie international vermarktet. Allerdings waren von ihnen selten kritische Töne zu hören und auch die Musik, die unter diesem Label verkauft wird, ist weniger radikal als Felas. Es sind vielfach traditionalisierende Musikstile zu hören, die sowohl westlichen, exotistischen Phantasien von Afrika, als auch dem Bedürfnis afrikanischer Migranten im Norden nach einem idealisierten Heimatland entsprechen.
Youssou N’Dour erzielt in diesem Kontext seinen internationalen Durchbruch. Er war aber im Senegal und einigen Nachbarländern aber auch zu diesem Zeitpunkt bereits ein Superstar, auf den sich alle einigen konnten. Mit dem von ihm maßgeblich beeinflussten Stil „Mbalax“ hat N’Dour eine „Nationalisierung“ senegalesischer Musik vorangetrieben, indem er lokale Rhythmen in die bis dahin dominierende, kubanisch geprägte Popmusik des Senegal einführte. Eine neue Musik war entstanden, die die Geschmacksgrenzen von Stadt und Land, sowie Masse und Elite überschreiten konnte. Die Texte zur Notwendigkeit gesellschaftlichen Engagements oder eines postkolonialen afrikanischen Selbstbewusstseins, zu Umweltproblemen und Verwirrungen der Liebe, oder auch der Wertschätzung muslimischer Vorbilder konnten niemanden wirklich erschrecken, regten aber zur gesellschaftlichen Debatte an.
Radikale Umbrüche in Afrika - die Demokratisierungswelle der 1990er
Mit den 1990ern sind auch in Afrika radikale Umbrüche verbunden, nicht nur so erfreuliche Ereignisse wie das Ende der Apartheid in Südafrika oder so dramatische Einschnitte wie der Genozid in Ruanda. Eine Demokratisierungswelle erfasste viele afrikanische Länder – mit politisch durchaus durchwachsenen Ergebnissen, aber einer wesentlichen Entwicklung: nämlich der Privatisierung der Massenmedien, die mit einer Diversifizierung der Programme und erweiterten Möglichkeiten gerade für junge Musikerinnen und Musiker einherging. Das zeitigte auch eine interessante Entwicklung hinsichtlich der musikalischen Stile: TV und Radio sendeten nun bevorzugt Musik, die junge Leute begeisterte – und hierbei handelte es sich oft um lokale Varianten des Hip Hop.
Ob „Kwaito“ in Südafrika, „Bongo Flava“ in Tansania, „Senerap“ im Senegal, „HipLife“ in Ghana und vergleichbare Stile in anderen Ländern, ein gemeinsames Entwicklungsmuster ist bei fast allen diesen Stilen zu erkennen. Oft beginnen die jeweiligen nationalen Hip Hop Szenen mit einer Kopie des US-amerikanischen und auch des französischen Originals und einer Orientierung an deren Themen und Sprache. Erst dann geraten zusehends lokal relevante Probleme in den Fokus und es wird in verschiedenen afrikanischen Sprachen – auch „slangs“ der jeweiligen urbanen Jugendkulturen gerappt. Durch die häufig enge Verbindung zum Reggae spielt die gesellschaftskritische Tradition dieses Musikstils eine wichtige Rolle. Rapper und Reggae-Sänger üben nun also (mehr oder minder) massive Kritik an gesellschaftlichen Missständen aber auch an korrupten Eliten, Demokratiedefiziten und den mangelnden Chancen der Jugend. Es ist da sicherlich nicht überraschend, dass seit Ende der 1990er auch Fela Kuti und sein „Afrobeat“ sowohl im Westen als auch in einigen Ländern Afrikas eine Renaissance erlebten.
Die 2000er: Dekade der Kulturindustrie
Die seit dem Jahr 2000 bedeutendste Entwicklung könnte mit dem Schlagwort der Digitalisierung als Demokratisierung etwas idealisierend umschrieben werden. Schon World Music Stars wie Youssou N’Dour hatten den Anspruch, die Entwicklung der heimischen Plattenindustrie voranzutreiben, indem sie Musikfirmen gründeten und Aufnahmestudios errichteten, um den Zustand der 1980er zu überwinden, als Musiker vieler afrikanischer Länder noch in Europa produzierten, wenn sie bestimmte Qualitätsstandards erreichen wollten. Aber erst mit dem digitalen Aufnahmeequipment fanden bisherige Kosten- und Platzprobleme ein Ende. In N’Dours Heimatland haben viele HipHopper inzwischen ihr eigenes Aufnahmestudio, die Möglichkeiten lokaler Musikproduktion haben sich vervielfacht.
Vielleicht können die 2000er als Dekade der Kulturindustrie in Afrika verstanden werden. Kultur und besonders Musik wurden als Entwicklungsressource entdeckt und in der internationalen Sphäre auch entsprechend in den Vordergrund gerückt**. Youssou N’Dour engagierte sich als UNESCO-Botschafter für den Kampf gegen die Malaria. Die Sängerin Oumou Sangaré aus Mali trat ebenfalls im Namen der UNESCO für die Rechte der Frauen ein. Gerade sie verkörpert als Feministin und Geschäftsfrau idealtypisch die Hoffnungen, die besonders im Norden mit dem Entwicklungspotenzial der Musik verknüpft werden. Sie investierte ihre Einkünfte in ein Hotel und eine Spedition. Chinesische Geschäftspartner haben ihr zu Ehren sogar ein Automodell nach ihr benannt.
Wachsende Bedeutung von Online-Plattformen für Musik
Heutzutage finden wir in etlichen Ländern Afrikas auch die bei uns bekannten Entwicklungen der Musikindustrie: Videoclips fungieren als wichtigstes Marketinginstrument für Bands, sie laufen im Fernsehen, in Bars und natürlich im Internet – und damit bei einer explodierenden Zahl von Mobiltelefonnutzern auch auf den Handys. Castingshows im Fernsehen begeistern auch in vielen Ländern Afrikas ein Massenpublikum und schließlich ist die wachsende Bedeutung von Online-Plattformen zum Streamen und Download aktueller Musik festzustellen.
Die damit einhergehenden Probleme der Bedrohung bestehender Musikindustrien durch illegale Kopien sind natürlich auch in Afrika kein neues Problem, früher florierte der Markt illegal überspielter Cassetten, dann gebrannter CDs. Westliche Beobachter konstatieren zudem eine zunehmende Austauschbarkeit westlicher und afrikanischer Musikstile. Derart pauschale Urteile sind problematisch, wie in anderen kulturellen Sphären fordert der intensivierte Austausch aber zu einer bewussteren Reflexion und Inszenierung des Lokalen angesichts der Globalisierung. Somit sind auch weiterhin Musikstile zu entdecken, die es nur in bestimmten Regionen Afrikas gibt – und auch in der Konsumption und Distribution ist ein Unterschied zu erkennen: nach wie vor sind Überlandbusse und Sammeltaxis entscheidende Medien zur Verbreitung und Popularisierung von Musikstücken.
Sozialkritische Musik als Beitrag zur Demokratisierung
Es lassen sich also durchaus optimistische Prognosen für die nachhaltige Entwicklung einer afrikanischen Musikindustrie im Konzert mit anderen Unterhaltungsindustrien formulieren. Es ist sogar zu hoffen, dass mit der einst von Fela Kuti, jüngst vor allem aber den HipHoppern und Reggae-Künstlern angestoßenen Sozialkritik langfristig auch die Etablierung eines öffentlichen Raums zivilgesellschaftlicher Debatte einhergeht, der einer Demokratisierung afrikanischer Gesellschaften zuträglich wäre.
Aber ob wir mit Fela Kuti auch hoffen sollten, dass Musik die Waffe der Zukunft sein könne? Das Beispiel Mali dürfte uns da skeptisch machen: Tinariwen und andere Tuareg-Bands aus dem Norden des Landes beanspruchten eine Alternative zum bewaffneten Kampf der Tuareg darzustellen und sich mit dem malischen Staat zu arrangieren. Im Westen kommen die Musiker als Wüstenrebellen, die dem Kampf mit der Waffe gegen den des Wortes eingetauscht hatten, hervorragend an. Für ihr Heimatland stellte ihr Weg offenbar keine Alternative zu herkömmlichen Waffen dar, wie die jüngsten Entwicklungen im Norden Malis zeigen.
*Hier kann keine ausführliche Darstellung dieser Entwicklung gegeben werden.
** So diskutierte etwa bereits 2002 der Courier, die Zeitschrift der AKP-EU-Kooperation, die Bedeutung der Kulturindustrie für die Länder Afrikas, der Karibik und des Pazifiks. Hier sind auch einige Daten und Zahlen zum Wachstum der Kulturindustrie in Afrika zu finden.
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