Wir sprachen mit Sharon Blumenthal von CARE Deutschland-Luxemburg über Aufbau, Organisation und Finanzierung von Flüchtlingslagern. Besonders im Sudan gestaltet sich die Situation dramatisch.
Frau Blumenthal, bei CARE Deutschland-Luxemburg sind Sie unter anderem für die Betreuung jener Projekte zuständig, die sich den Flüchtlingen widmet. Wie ist denn eigentlich ein Flüchtlingslager aufgebaut?
Sharon Blumenthal: Üblicherweise ist ein Flüchtlingslager in verschiedene Sektoren aufgeteilt, die sich in Blöcke gliedern. Ein Sektor besteht aus vier Blöcken, ein Block beinhaltet 16 Communities, eine Community sind 16 Familien. Je nachdem, wie groß das Camp ist, gibt es dann einen oder mehrere Sektoren.
Aus wie vielen Sektoren kann ein Camp bestehen?
Ziel ist es, nicht mehr als 20.000 Menschen in einem Flüchtlingslager unterzubringen, das heißt vier Sektoren. Wir versuchen so, den internationalen Standard der humanitären Hilfe einzuhalten. Die Realität sieht natürlich oftmals anders aus. Das sind jetzt die reinen Planungsgrößen von denen man versucht, auszugehen.
Wann wird ein Camp aufgebaut?
Meistens zu spät. Meist ist die Errichtung eine Reaktion auf die Flucht von Menschen. Vorausschauend planen funktioniert fast gar nicht, höchstens in Fällen, wo es seit längerem ein Flüchtlingslager gibt und man feststellt, dass die Kapazitäten nicht ausreichen. Das hatten wir zuletzt zum Beispiel im Süd-Tschad, wo gemeinsam mit dem UNHCR beschlossen wurde, ein neues Lager aufzumachen. Und dann kann man natürlich weitaus besser planen als wenn man nur auf Flüchtlingsströme reagiert.
Wie kommen die Menschen in das Lager? Woher wissen sie, dass es eins gibt?
In Situationen wie im Darfur-Konflikt, wenn sudanesische Flüchtlinge in ihrem eigenen Land fliehen oder in das Nachbarland Tschad, hat es sich meist herumgesprochen. Wir arbeiten dort ja schon seit vier Jahren. Die Menschen in den Lagern versuchen, den Kontakt zu ihren Herkunftsregionen zu halten. Aber es ist schon so, dass die Leute blind drauf losgehen – eben fliehen und dabei ihr Leben aufs Spiel setzen, und wir dann von der lokalen Bevölkerung erfahren, dass sie da sind. Die Menschen werden aufgesucht und durch den UNHCR registriert. CARE und andere Organisationen übernehmen die Flüchtlinge dann in die Flüchtlingslager, wo sie Schutz und Nahrung erhalten.
Was passiert, wenn Flüchtlinge ankommen? Was ist der erste Schritt?
Nach der Registrierung und der Aufnahme wird der Familienstand befragt, wo sie herkommen und was ihnen passiert ist. Es wird geprüft, ob eventuell Familienangehörige im Lager sind. Es werden Karten ausgegeben die offiziell zum Aufenthalt im Lager und zum Erhalt von Hilfsgütern berechtigen. Wir haben dort ein Gesundheitszentrum und medizinische Versorgung. Im Idealfall wird den Flüchtlingen dann ein Platz zugewiesen, ein Zelt gestellt. Der Rest ergibt sich dann.
Wie kümmert man sich um die Menschen vor Ort?
Wir haben im Lager so genannte Community-Posts, das sind Stellen, in denen die Menschen eine Anlaufstelle finden, an Trainings teilnehmen oder sich einfach austauschen können. Unter anderem unterrichten wir sie im Gartenanbau oder in anderen handwerklichen Dingen und in Techniken, die ihnen bei der Rückkehr in ihre Region etwas nutzen. Es ist zum einen schon eine Beschäftigungsform, um Konflikte nicht so hochkochen zu lassen, aber auf der anderen Seite auch, um ihnen etwas mitzugeben und ihre Zeit sinnvoll zu nutzen. Für die Kinder gibt es Schulen. Die Menschen sind schon mit alltäglichen Dingen beschäftigt, also Wasser holen, kochen, die Kinder versorgen. Wir versuchen dabei, sie unabhängig von unserer Hilfe zu machen, wir leisten Hilfe zur Selbsthilfe.
Wie sieht es mit der Versorgung aus?
Die Menschen erhalten eine Wochen- oder Monatsration an Lebensmitteln, die von Region zu Region unterschiedlich ist. Meist sind es aber Öl, Mehl, Getreide, Zucker, Reis und Bohnen. Die Zubereitung obliegt dann den Leuten selbst. Der Standard an Kalorien, den wir versuchen einzuhalten, liegt bei 2100 Kalorien pro Person pro Tag. In fruchtbaren Regionen, etwa im Süden des Tschads, versuchen wir die Leute zu animieren, selber etwas anzubauen. Die Nahrungsmittelrationen, die zumeist vom Welternährungsprogramm (WFP) organisiert werden, können dann reduziert werden.
Für welchen Zeitraum sind Flüchtlingslager konzipiert?
Idealerweise nur so lange die aktuelle Krise anhält. Aber das hängt von den jeweiligen Krisen ab. Im Tschad beispielsweise versorgt CARE 60.0000 sudanesische Flüchtlinge in drei Camps. Die liegen im Osten des Landes an der Grenzregion zum Sudan. Die Camps sind dort seit vier Jahren. Aber es gibt auch in anderen Ländern Flüchtlingslager, in denen Menschen geboren sind und die bis heute auch nichts anderes erlebt haben. Ein Camp ist ja eigentlich immer nur temporär geplant. Und das Ziel muss immer sein, die Menschen zurückzuführen. Deswegen ist es auch unser Ziel, keine attraktiven Strukturen zu schaffen, die andere Flüchtlinge anziehen, sondern wirklich nur die Mindestversorgung zu leisten und die Zeit zu überbrücken, bis sie wieder zurückkehren. Das Ideale ist, die Menschen zu betreuen, sie zu einer Rückkehr zu animieren und sie dabei zu begleiten, soweit es wieder möglich ist. Es ist nicht das Ziel, an der Stelle des Camps neue Strukturen zu schaffen, weil es ja meist für die Aufnahmeländer und die Region auch schwierig ist. Es gibt aber auch Fälle, wo an eine Rückkehr erst einmal gar nicht zu denken ist. Werden die Flüchtlinge in einem solchen Fall gut von der lokalen Bevölkerung im Aufnahmeland angenommen, weil es unter anderem keinen Kampf um Ressourcen gibt, helfen wir bei der Integration der Flüchtlinge in die Aufnahmegesellschaft.
Wie werden diese Camps am Beispiel von CARE finanziert?
Ein großer Teil der Kosten für die Errichtung und Unterhaltung des Flüchtlingslagers wird vom UNHCR finanziert, dem UN-Organ mit dem völkerrechtlichen Mandat für die Betreuung und Versorgung von Flüchtlingen. Wenn wir vom UNHCR mit der Leitung eines Lagers betraut werden, steht dafür zwar ein Budget zur Verfügung – es reicht jedoch bei weitem nicht aus. Wir bemühen uns dann darum, weitere Mittel für unsere Arbeit mit den Flüchtlingen zu bekommen – durch Spenden und öffentliche Mittel des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und der EU.
Wie sieht die Begleitung bei der Rückführung aus? Wollen die Menschen überhaupt in ihre eventuell zerstörten Regionen zurück?
Die meisten Menschen möchten wieder in ihre Heimat, denn freiwillig haben sie ihre Dörfer ja nicht verlassen. Sie hängen an ihrem Herkunftsort. Das Problem ist zum Beispiel im Sudan, dass sie dort nur verbrannte Erde wieder finden. Dort sind ganze Dörfer niedergebrannt worden. Für die Menschen ist es dann ein kompletter Neuanfang und da fragen sie sich auch ängstlich, was sie dort erwartet. Dann versuchen wir, Grundstrukturen zu schaffen: wir helfen beim Aufbau von Häusern und der Schaffung einer neuen Lebensgrundlage, beispielsweise durch die Ausgabe von Werkzeugen und Saatgut. Die Grundvoraussetzung ist dabei natürlich, dass es für die Menschen sicher genug ist, in ihre Heimat zurückzukehren.
(Stand: April 2008)
Neben CARE sind auch die Bündnispartner action medeor, HELP, Malteser, Johanniter und World Vision im Sudan/Tschad aktiv. Um den Betroffenen helfen zu können, bittet Aktion Deutschland Hilft um Spenden.
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