Gastbeitrag von Juliane Kippenberg, Senior Researcherin für Afrika in der Abteilung Kinderrechte von Human Rights Watch
Daniel sitzt auf dem Schoß seiner Großmutter in einem kleinen Haus im Dorf Nyangoma, Westkenia. Der Körper des noch nicht einmal zwei Jahre alten Jungen wird immer wieder von einem heftigen Husten geschüttelt. Er sieht müde und schwach aus. Daniel (Name geändert) ist HIV-positiv und hat vermutlich Tuberkulose, die häufigste Todesursache unter Menschen mit HIV. Das Distriktkrankenhaus, in dem er einen Tuberkulose-Test bekommen und die notwendige Versorgung erhalten könnte, ist jedoch zehn Kilometer weit entfernt. Das Geld für die Fahrt kann seine Großmutter nicht aufbringen. In Afrika stirbt rund die Hälfte aller Kinder, die mit HIV auf die Welt kommen, vor dem zweiten Geburtstag.
Kenia: Zahlreiche aidskranke Kinder benötigen Hilfe
Kenia liegt in der Region, die weltweit am stärksten von der Aids-Epidemie betroffen ist, dem südlichen und östlichen Afrika. Kenia bietet seit 2006 die antiretrovirale Behandlung für Aids-Patienten kostenlos an und wurde für seine Präventionsmaßnahmen gelobt. Dennoch zeigen Untersuchungen von Human Rights Watch (HRW) im vergangenen Jahr, dass die Regierung nicht annähernd genug für die Behandlung von HIV-positiven Kindern, den besonders schutzbedürftigen Patienten, tut. Schätzungen zufolge sind mindestens 60.000 Kinder auf antiretrovirale Medikamente angewiesen.
Für über die Hälfte aller Kinder sind diese lebensrettenden Medikamente allerdings außer Reichweite. Oft tauchen Kinder noch nicht einmal in den Statistiken auf: Eine kürzlich erschienene, richtungsweisende Studie über HIV in Kenia, die Kenya AIDS Indicator Survey, ließ Angaben zu Kindern unter 15 Jahren außen vor. Jahrelang konzentrierte sich die Regierung und deren internationale Geldgeber auf die medikamentöse Versorgung von Erwachsenen. Viele lokale Gesundheitszentren bieten bis heute weder routinemäßige HIV-Tests für Kinder noch Behandlungen für infizierte Kinder an, obwohl Erwachsene dort entsprechend versorgt werden.
Nicht überall finden die Familien Hilfe
Damit die Kinder behandelt werden können, müssen sie vorher untersucht werden. Ab 2007 wies die kenianische Regierung Gesundheitszentren an, Routineuntersuchungen für Säuglinge und Kleinkinder von HIV-positiven Müttern und Müttern, deren HIV-Status unbekannt war, anzubieten. Trotzdem werden diese Untersuchungen dem kenianischen Gesundheitsministerium zufolge von nur rund einem Viertel der Gesundheitseinrichtungen angeboten. Außerdem fehlen bislang Richtlinien für das Testen von Kindern über das Säuglingsalter hinaus. Viele ältere Kinder werden erst getestet, wenn die Krankheit schon vorangeschritten ist. Gesundheitszentren sollten angewiesen werden, alle Kinder unter fünf Jahren zu testen, wenn sie noch nicht getestet wurden, sowie alle Kinder, deren Mütter HIV-positiv sind oder gestorben sind, und die an HIV-typischen Symptomen leiden.
Existierende Richtlinien erschweren manchmal das Testen von älteren Kindern und Jugendlichen. Wenn Pflegeeltern das Kind nicht zum Test begleiten können, aber mit dem Test einverstanden sind, dürfen "Community health workers" (örtliche medizinische Mitarbeiter) das Kind meist nicht begleiten. Jugendlichen über 15 Jahren kann der Test verwehrt werden, wenn sie keine elterliche Erlaubnis haben. Solche Richtlinien sollten abgeschafft werden.
Antiretrovirale Medikamente müssen endlich Gesundheitszentren auf der untersten Ebene erreichen, da diese am ehesten für Kinder erreichbar sind. AIDS-Behandlung für Kinder muss in den Maternal and Child Health clinics Teil der regulären ärztlichen Betreuung werden und überall dort verfügbar sein, wo antiretrovirale Medikamente für Erwachsene verabreicht werden. Zwar wurde damit begonnen, das medizinische Personal in den lokalen Einrichtungen für die HIV-Behandlung von Kindern zu schulen, trotzdem fehlt es in vielen Krankenhäusern noch massiv an qualifiziertem Personal. Zu hohe Transportkosten hindern viele Eltern und andere Sorgeberechtigte daran, Kinder zu den weiter entfernten Distriktkrankenhäusern oder anderen zentralen Gesundheitseinrichtungen zu bringen.
Multiple Erkrankungen und Nahrungsmittelunsicherheit
Kinder, die sowohl mit HIV als auch mit Tuberkulose (TB) infiziert sind, sind zudem noch mit anderen Problemen konfrontiert. Weder gibt es einen zuverlässigen TB-Test für Kinder noch können die gegenwärtig verfügbaren TB-Medikamente gleichzeitig mit antiretroviralen Medikamenten eingenommen werden. Sollte Daniels Großmutter das Geld für die Fahrt zum Distriktkrankenhaus aufbringen können und sich dann herausstellen, dass der Junge TB hat, muss zuerst die Tuberkulose behandelt werden, bevor er antiretrovirale Medikamente nehmen kann – falls er bis zur Ausheilung seiner TB überlebt.
Eigentlich sollten Gesundheitsleistungen für Kinder unter fünf Jahren kostenlos sein. Dennoch erheben einige von der Regierung verwaltete Einrichtungen für die Behandlung von Kindern immer noch Gebühren. Andere HIV-bezogene Leistungen wie Tests und die Behandlung von Infektionen, die bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem häufig vorkommen, werden nicht unentgeltlich angeboten. Daher gehen viele Eltern irrtümlich davon aus, dass die AIDS-Behandlung ihres Kindes grundsätzlich Geld kostet. Patienten sollten unbedingt klare Informationen darüber erhalten, inwieweit eine kostenlose AIDS-Behandlung verfügbar ist.
Die Nahrungsmittelkrise in Ostafrika hat die Lage noch verschärft. Wo Nahrungspreise steigen und wenig Essen auf dem Tisch ist, zögern viele Pflegeeltern, Kindern ein Medikament zu geben, das bei geringer Nahrungsaufnahme zu Schmerzen, Erbrechen oder anderen Nebenwirkungen führt.
Gelder für Forschung und Behandlung bereitstellen
Sowohl Kenia als auch die internationalen Geldgeber, darunter auch Deutschland, müssen wesentlich mehr tun, um die Hindernisse zur Behandlung von Kindern zu überwinden. Kenias Kampf gegen AIDS wird zu einem wesentlichen Teil durch Spendengelder finanziert. Die Kenianische Regierung selbst wendet lediglich sieben Prozent der staatlichen Ausgaben für das Gesundheitswesen auf. Geberländer sollten Maßnahmen der Gesundheitspolitik für Kinder finanziell und mit technischem Know-How unterstützen, und so das Gesundheitssystem insgesamt stärken. Sie sollten auch helfen, Strategien zur Verbesserung der Nahrungsversorgung von Menschen mit HIV zu entwickeln.
Internationale Geldgeber sollten außerdem Geld für die Erfoschung neuer, effektiverer Tuberkulose-Medikamente zur Verfügung stellen, die gleichzeitig mit antiretroviralen Medikamenten eingenommen werden können, und die Entwicklung von zuverlässigen TB-Tests für Kinder finanzieren.