Kritisch eingewandt wird:
Präsentiert werde eine tendenziös verdichtete Auswahl von Negativbeispielen. Alle naheliegenden Positivbeispiele seien ausgeblendet und dies sei auch von Polman explizit gewollt (Caritas International). Ruanda 1994 und Biafra 30 Jahre früher hätten zu einer existentiellen Erschütterung des Selbstverständnisses der Hilfsorganisationen geführt und in der Folge vermehrt zu kritischer Evaluation von Hilfseinsätzen geführt. Codes of conduct seien entwickelt worden. Infolgedessen werde jetzt bei Hilfeleistungen überlegter und mit komplexeren Konzepten vorgegangen. Alle diese Veränderungen würden von Polman ignoriert (Foley). Unklar bleibe, was „ Neutralität“ der Hilfe bedeute, nämlich gerade nicht Verantwortung für Hilfsaktionen und ihre Folgen zu verweigern oder gar tatenlos bei manifestem Leiden und Not zuzusehen (Foley). Polman sehe nicht, dass Neutralität in dem Sinne, nicht Konfliktpartei zu sein, unabdingbar sei sowohl für den Zugang zu z.B. kriegsbedingt Hilfsbedürftigen als auch die Sicherheit der Hilfsteams selbst.
Es werde von ihr nicht deutlich genug unterschieden zwischen Humanitärer Hilfe einerseits und Formen der politischen und militärischen Intervention im Konfliktfall andererseits. Hierdurch werde den Hilfsorganisationen unzulässigerweise Mitverantwortung bei der Schaffung und Gestaltung friedensdienlicher politischer Verhältnisse und Strukturen zugewiesen (Foley). Die im Ganzen eher lesefreundlich allgemeinverständliche Darstellungsweise führe gelegentlich zu populistischen pauschalen Aussagen (Simsa). Bei großen Zahlenangaben fehlen gelegentlich Quellennachweise, einzelne Angaben sind abstrus, so z.B. Hilfszahlungen von Ungarn in Höhe von 106 Mrd.$ und Polen von 386 Mrd.$ bei 13 Mrd.$ Hilfszahlungen der EU insgesamt (226).
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Buch aus der Sicht einer erklärtermaßen interessegeleiteten Beobachterin geschrieben ist: „Es ist ein Pamphlet. Es ist kein objektiver Journalismus“, so Polman selbst (Caritas International). Als Beobachter (-in) ist man gerade nicht aktiv in konkrete Hilfeleistung involviert.
Ein unvollkommenes Angebot
Ganz anders die Bücher von Obrinski und Munz. Beide haben als Mitglieder von „Médecins sans frontières“ (MSF) an verschiedenen Hilfsaktionen in verantwortlicher Funktion teilgenommen. Zugespitzt lässt sich sagen: Während Polman ihre Grund- und Ausgangsthese sozusagen top-down an verschiedenen Beispielen verifiziert, wählen Obrinski und Munz in ihren Analysen einen bottom-up aproach: Aus tiefer persönlicher Involvenz in die Praxis Humanitärer Hilfe in militärischen Konflikten und Katastrophen wird deren Realität ähnlich wie von Polman kritisch beleuchtet und kommentiert. Zielkonflikte, Grundsatzfragen wie die der „Neutralität“, Reformen und Verbesserungen werden diskutiert und zu Forderungen zugespitzt, dies aber immer eingebettet in Schilderungen konkreter Hilfeleistungen. Orbinski versteht sein Buch ausdrücklich als bekenntnishafte autobiographische Schilderung seines Weges von ersten Hilfeeinsätzen bis hin zu seiner Wahl als Präsident von MSF. Er erzählt dazu, wie er es nennt - einzelne Geschichten (13f).
Die Beschreibung der furchtbaren Vorgänge während des Genozids in Ruanda fällt nicht weniger schonungslos und hart aus wie bei Polman. Zugleich wird aber auch deutlich, dass konkrete z.B. medizinische Hilfe ihren Sinn behält und „Erfolge“ zeitigt, selbst in einem Umfeld von Exzessen politisch-militärischer Gewalt. Insofern wird Humanitäre Hilfe auch nicht darauf reduziert, eo ipso Konflikte und Katastrophen zu perpetuieren statt zu mildern.
Die Frage, die Orbinski von den ersten geschilderten Einsätzen bis zum Ende seines Buches umtreibt, ist die nach dem Spannungsverhältnis von praktischer Hilfe und politischem Kontext. Dabei werden im Wesentlichen fünf Positionen deutlich:
Es ist unmöglich, ja geradezu naiv, sich in der Humanitären Hilfe gänzlich aus der Politik herauszuhalten (16, 301). Helfer müssen sich z.B. in einem Krieg mit der der Politik auseinandersetzen, ohne sich von ihr vereinnahmen zu lassen (303).
Für Obrinski bleibt aber die Frage zentral, wie sich humanitäres Handeln in kriegerischen Auseinandersetzungen seine Unabhängigkeit bewahren und strikte Neutralität fallweise sogar einfordern kann (u.a. 331 ff).
Die verstärkte Indienstnahme von Humanitärer Hilfe, oder gar deren Integration in staatliche und militärische Aktion hat sich nach dem Ende des Kalten Krieges und dem damit einhergehenden Abbau diplomatischer Vertretungen in der Dritten Welt verstärkt (132). Humanitäre Hilfe ist vielfach an die Stelle von diplomatischer Intervention getreten. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass sich die Zahl der Hilfe-NGOs – zunehmend direkt staatsfinanziert – in den 90er Jahren ebenso vervielfacht wie die Staatsausgaben für humanitäre Einsätze (302).
Zwar ist Humanitäres Handeln immer angewiesen auf einen sicheren „Raum“ für seine Aktionen, den es selbst aber nicht schaffen kann. Dies bleibt Sache der Politik (ganz ähnlich Foley s.o.). Gleiches gilt erst recht für die längerfristige Verantwortung für Schutz und Sicherheit der betroffenen Bevölkerung wie der Helfer (343). In diesem Sinne sind durch internationale Bemühungen inzwischen diverse internationale Gerichtshöfe entstanden, welche bei Völkermord und generell bei Verbrechen die relevanten Akteure zur Verantwortung ziehen, gestützt auf zahlreiche internationale Konventionen (etwa zur Ächtung des Einsatzes von Landminen) und UNO-Resolutionen (302-303). Sog. „Humanitäre Kriege“ lehnt Obrinski ab (335), ohne auszuschließen, dass der Genozid in Ruanda durch eine massive militärische Intervention hätte abgewendet werden können (344).
Eine im Hinblick auf ihr Umfeld und die Folgen nicht naive politische Neutralität Humanitärer Hilfe ist inhärent hochpolitisch, wie z.B. die drei Kernaufgaben von MSF zeigen: unmittelbare Reaktion auf medizinische Bedarfslagen,
klare Umsetzung humanitärer Prinzipien in konkreten Situationen, z.B. bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verpflichtung, in der internationalen Öffentlichkeit Zeugnis abzulegen (305).
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