Dr. Jörn Lauterjung vom Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ) über die Gründe der andauernden Erdbebengefahr und die Erfolge des GFZ-Frühwarnsystems
Worin liegen die wissenschaftlichen Gründe dafür, dass sich Sumatra und Java in einer besonders gefährdeten Erdregion befinden?
Aus der Vergangenheit wissen wir, dass etwa 90 Prozent der großen Tsunamis durch starke Seebeben verursacht werden, die an den Kollisionszonen zwischen Ozeanplatten und Kontinenten entstehen. Die anderen 10 Prozent entstehen durch Vulkanausbrüche oder untermeerische Hangrutschungen. Die meisten Tsunamis treten im Pazifik auf, aber auch im Indischen Ozean und im Mittelmeer existieren derartige Kollisionszonen. Im Indischen Ozean ist dies vor allem der so genannte Sundabogen, an dem die Indisch-Australische Platte mit einer Geschwindigkeit von sechs bis sieben Zentimeter pro Jahr unter der Eurasischen Platte subduziert, also sozusagen verschluckt wird.
Eine besondere Herausforderung im Falle von Indonesien ist die Tatsache, dass diese Erdbebenzone weitgehend parallel und in dichtem Abstand zur Küste des Landes über eine Länge von mehreren tausend Kilometern verläuft. Die Vorwarnzeiten vor einem Tsunami liegen hier zwischen 20 und 40 Minuten. Eine andere, allerdings viel kleinere Zone ist der Golf von Makran im Nordwesten des Indischen Ozeans am Eingang des Persisch-Arabischen Golfs.
In welcher zeitlichen Frequenz bebt die Erde in dieser Region?
Wir können Erdbeben leider nicht vorhersagen, sondern man kann nur versuchen durch die Analyse historischer Aufzeichnungen von Erdbeben zeitlich Muster und Wiederholungsraten abzuschätzen.
Zur Frage ist zu sagen, dass kleinere Erdbeben bis zu einer Magnitude bis 5,5 fast täglich irgendwo in und um Indonesien auftreten. Mittlere Beben mit einer Magnitude bis 7,0 treten weniger häufig auf, aber immer noch ein- bis zweimal pro Jahr. Die starken Beben mit einer Magnitude 8 und stärker dann noch seltener – etwa einmal in 10 bis 20 Jahren. Mega-Ereignisse wie das Sumatra-Beben vom Dezember 2004 treten nur alle 200 bis 300 Jahre auf.
Wie genau funktioniert Ihr in der Region installiertes Frühwarnsystem?
Das Frühwarnsystem für den Indischen Ozean besteht aus mehreren Komponenten, aus deren Daten und Messungen eine Warnung generiert werden kann. Der Kern des Systems ist das Erdbebenmonitoring-System. Aus den gemessenen Erdbebenwellen an verschiedenen Stationen kann dann die Lokation und die Stärke des Bebens als erste Information berechnet werden.
Parallel zur Messung der Erdbeben mit einem Netz von Seismometern erfolgt ein Monitoring von Verschiebungen der Erdoberfläche als Folge eines Erdbebens mit Hilfe von „Global Positioning System“-Stationen (GPS).
Doch nicht jedes Erdbeben löst einen Tsunami aus. Um Fehlalarme, die bei bloßer Berücksichtigung der Erdbeben für eine Warnung unvermeidlich sind, weitgehend auszuschließen, muss die Welle ozeanographisch gemessen werden. Dies wird durch Ozeanboden-Druckpegel und speziell ausgerüstete GPSBojen erreicht, die an strategisch wichtigen Stellen ausgebracht werden. Unterstützt werden diese Messungen durch Beobachtungen von Küstenpegeln.
Alle Daten laufen in Echtzeit im Frühwarnzentrum in Jakarta zusammen, wo die Auswertung und Bewertung der Daten in einem Entscheidungs-Unterstützungssystem vorgenommen wird. Eine wichtige Rolle spielt hier die Tsunamimodellierung, denn nur über Simulationsrechnungen kann aus den Messdaten der Instrumente ein Gesamtlagebild erzeugt werden und eine Vorhersage von Wellankunftszeiten und -höhen an den betroffenen Küstenabschnitten gewonnen werden. Auf der Basis der einlaufenden Daten und Simulationsergebnisse werden aus dem Frühwarnzentrum die Warnungen in die weitere Warn-Kette eingespeist. Über unterschiedliche Kommunikationskanäle – wie Telefon, SMS, TV, Radio, Sirenen oder Lautsprecher – erreicht die Warnung dann die betroffene Bevölkerung.
In welcher Form wird denn die Bevölkerung in den gefährdeten Regionen Indonesiens mit einbezogen?
Das ist der wohl wichtigste Aspekt der Frühwarnung. Damit bei den extrem kurzen Frühwarnzeiten überhaupt wirksame Maßnahmen ergriffen werden können, muss das Bewusstsein über eine latente Gefährdung und mögliche präventive Schutzmaßnahmen bei der Bevölkerung geweckt und gestärkt werden. Man nennt das „Awareness“. Und es muss dafür gesorgt werden, dass im Alarmfall die Bevölkerung die richtige Reaktion zeigt – also „Preparedness“.
Dies reicht zum Beispiel von Evakuierungsübungen über regelmäßige Informationsveranstaltungen bis hin zur Vermittlung von Sachverhalten im Schulunterricht. Eine Arbeitsgruppe im Frühwarnprojekt beschäftigt sich genau mit diesen Fragestellungen und darüber hinaus auch mit Fragen der Umsetzung von präventiven Maßnahmen wie die Einbeziehung von Risiko- und Vulnerabilitätskarten in die Stadt- und Landschaftsplanung zur Prävention einer möglichen Katastrophe.
Wie sind Ihre ersten Erfahrungen mit diesem Frühwarnsystem?
Das Frühwarnsystem wurde am 11. November 2008 an die indonesische Regierung übergeben und ist seitdem in einer Optimierungsphase. Die einzelnen Komponenten müssen im operativen Betrieb aufeinander abgestimmt werden und das Bedienungspersonal muss ausgebildet und trainiert werden. Offiziell soll das System Ende März nächsten Jahres übergeben werden. Die bisherigen Erfahrungen sind der Zielstellung entsprechend, seit Ende 2007 liefert das System Warnungen und hat sich bei mehreren Erdbeben und kleineren Tsunamis bereits bewährt.
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