Die Johanniter schulen Frauen, die wegen des Konflikts in Aceh Analphabetinnen sind
Randa ist nervös. Sie traut sich erst nach mehrfachem Bitten an die Tafel. „136+23“ steht da und „310-46“. 159 schreibt sie mit zittriger Hand hinter die erste Aufgabe – und erntet wohlwollendes Kopfnicken. Doch mit der zweiten Rechnung kommt sie nicht zurecht: 344 lautet ihr Ergebnis. Falsch. Aber halb so wild, der ungewohnte Besuch hat sie verunsichert.
Randa wohnt in Mureu Baro, einem Dorf inmitten eines dichten Waldes, eine halbe Autostunde von Banda Aceh entfernt. Die Tsunami-Welle drang zum Glück nicht bis zu den rund 100 Einwohnern von Mureu Baro vor, die Regierungstruppen jedoch sehr wohl. In jedem Haus vermuteten die Soldaten Kämpfer der GAM – jener Autonomiebewegung, die gewaltsam für ein freies Aceh kämpfte. „Immer wieder zündeten die Militärs unsere Häuser an“, sagt Randa. „Und immer wieder gab es Gefechte auf offener Straße.“
Die 24-Jährige konnte deshalb oft wochenlang nicht zur Schule gehen, den Kindern von GAM-Kämpfern wurde der Schulbesuch sogar komplett untersagt. „Wir durften auch keine schwarze Kleidung tragen. Schwarz war die Farbe der GAM. Wer schwarz trug, wurde erschossen.“
Friedensschluss und Scharia
Am 15. August 2005 kam es dann zum lang ersehnten Wendepunkt: Unter Vermittlung des ehemaligen finnischen Präsidenten Martti Ahtisaari schlossen die GAM und die indonesische Regierung in Helsinki einen Friedensvertrag. Seitdem wurden Zehntausende indonesische Militärs und Polizisten aus Aceh abgezogen, die GAM gab ihre Waffen ab.
Zudem erließ das indonesische Parlament in Folge des Abkommens ein neues Autonomiegesetz, welches auch Regelungen zur Anwendung der Scharia enthält. Frauen müssen seitdem verstärkt Kopftuch tragen und dürfen sich nach Einbruch der Dunkelheit nur noch in Begleitung in der Öffentlichkeit zeigen. Wegen Alkoholkonsum und Glücksspiel werden regelmäßig Menschen öffentlich ausgepeitscht; eine speziell geschaffene Scharia-Polizei überwacht die Einhaltung der strengen Regeln. Auch deshalb haben die Frauen in Mureu Baro trotz des Friedensabkommens weiterhin Angst. Angst vor einem Wiederaufflammen des Konflikts, Angst vor Sanktionen.
Auch Traumata werden aufgearbeitet
Gemeinsam mit der Partnerorganisation YBJ bieten die Johanniter seit Beginn des Jahres 2008 Kurse speziell für jene Frauen an, die durch den fehlenden Schulbesuch weder lesen, schreiben oder rechnen können. Sie erhalten zwei- bis dreimal in der Woche für zwei Stunden Unterricht – flexibel, ihrem jeweiligen Wochenplan und den Saat- und Erntezeiten angepasst. Die Schulungsräume wurden gemeinsam mit der lokalen Bildungsbehörde ausgestattet.
Nun könne sie Kochrezepte lesen, sagt Randa, und selbstständig einkaufen gehen, ohne die Befürchtung, beim Bezahlen betrogen zu werden. Auch werde sie ihre beiden Kinder unterstützen können, sobald diese alt genug sind, zur Schule zu gehen. „Der Unterricht steht im Mittelpunkt. Es geht in diesem Projekt aber auch immer darum, die Frauen über ihre Rechte aufzuklären und im Team die bestehenden Traumata und Depressionen aufzuarbeiten“, sagt Elena Lutzke von der Johanniter-Auslandshilfe – und freut sich darüber, dass Randa ihren Fehler korrigiert hat: 264. Richtig.
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