Bildungsangebote mitten im Elend humanitärer Krisen? Das klingt zunächst nach „Luxushilfe“. Die Frage liegt nahe, ob Helfer nach großen Katastrophen mit Millionen Leidtragenden oder bei Konflikten in armen, unterentwickelten Regionen nicht alle Hände voll damit zu tun haben, das Überleben der Betroffenen zu sichern. Doch in internationalen Gremien hat sich aus guten Gründen die Einsicht durchgesetzt, dass Bildung ein wichtiger Aspekt der humanitären Hilfe ist.
Bildung rettet Leben
Umfassende, der Notsituation angepasste Informationsangebote können Leben retten: Weil sie Flüchtlinge zum Beispiel rechtzeitig vor unbekannten Gefahren und Folgerisiken warnen – zum Beispiel durch Minen, Krankheitsüberträger, mangelnde Hygiene und verschmutztes Wasser; oder weil sie den Menschen Zugang zu (lebens-)wichtigen Ressourcen erleichtern. Betroffene erfahren, wo und wie sie Hilfsgüter, medizinische Versorgung und psychologischen Beistand erhalten.
Nach dem verheerenden Erdbeben in Pakistan im Oktober 2005 fanden Hilfsorganisationen heraus, dass viele Frauen wegen mangelnder Bildung und ihrer untergeordneten gesellschaftlichen Stellung nichts von Entschädigungsleistungen der Regierung wussten – World Vision konzipierte daraufhin eine Aufklärungskampagne.
Schutz für Kinder, Hilfe für Eltern
Ein wichtiges Element der Aufklärung betrifft den Schutz der Jüngsten. Im allgemeinen Chaos nach einer Katastrophe besteht selbst in Flüchtlingslagern die Gefahr, dass Kinder von ihren Familien getrennt, vernachlässigt oder sogar von Dritten missbraucht werden. World Vision organisiert daher sogenannte „child friendly spaces“. Diese betreuten Areale bieten Mädchen und Jungen physischen Schutz, sicheren Raum für Spiel- und Lernangebote sowie psychosoziale Unterstützung. Gleichzeitig dienen sie als Anlaufstelle für Eltern, die Rat benötigen.
Nach dem Tsunami am Indischen Ozean (Dezember 2004) führte CARE in Indien mit dem Nationalinstitut für psychische Gesundheit und neurologische Wissenschaften ein Schulungsprogramm durch. Es befähigte 1200 Lehrer, Gesundheitshelfer und andere Gemeindemitglieder, traumatisierte Kinder und Erwachsene bei der Bewältigung ihrer schrecklichen Erlebnisse professionell zu begleiten.
Neuanfang bei Null – Bildung als Entwicklungsimpuls
Den tatsächlichen, durch Natur oder Mensch verursachten Desastern folgen ganz persönliche Katastrophen, die vor allem die Armen treffen. Familien, die schon vorher am Rande des Existenzminimums lebten, verlieren ihr Kleinvieh, ihr Werkzeug, Gemüsegärten oder Fischerboote – und damit oft ihre einzige Einkommensquelle. Sie können Nahrung, Medizin oder das Schulgeld für ihre Kinder nicht mehr bezahlen und geraten noch tiefer ins Elend.
Bildungsangebote können Katastrophen- und Kriegsgeschädigte befähigen, sich neue Lebensgrundlagen zu schaffen. In der sudanesischen Bürgerkriegsprovinz Darfur etwa lernen Frauen in Flüchtlingslagern durch Projekte unserer Mitgliedsorganisationen zunächst Lesen und Schreiben, dann aber auch verschiedene Handwerke, mit denen sie sich später ein dauerhaftes Einkommen erwirtschaften können. Die Bildungsprogramme fördern gezielt weibliche Teilnehmer, denn in vielen Krisenregionen – wie im Sudan, in Afghanistan oder in Pakistan – werden weit weniger Mädchen eingeschult als Jungen.
Bisher eher Randerscheinungen der humanitären Hilfe sind informelle Grund- und Berufsbildungsangebote für Jugendliche, die nie eine Schule besucht haben oder diese armutsbedingt abbrechen mussten. Inzwischen werden sie aber zunehmend in Wiederaufbauprogramme integriert. Nach dem Tsunami etwa unterstützte Aktion Deutschland Hilft in besonders zerstörten Gebieten die Ausbildung von Jugendlichen zu dringend benötigten Maurern. Auch für die Reintegration von Kindersoldaten sind solche Programme essenziell, da ihnen der Weg zurück in reguläre Schulen oft versperrt ist.
Bildung beugt vor: Katastrophenschutz, Friedenserziehung und Menschenrechte
Bildungsangebote lindern nicht nur Leid und Armut während oder nach Katastrophen. Sie können Menschen auch dabei helfen, sich besser vor Naturgewalten zu schützen oder dem Entstehen von Konflikten und Menschenrechtsverletzungen frühzeitig entgegenzuwirken. In Sri Lanka zum Beispiel unterstützten Bündnispartner von Aktion Deutschland Hilft nach dem Seebeben die Aufnahme von Informationen zum Katastrophenschutz in die Lehrpläne. In Indonesien startete der Arbeiter-Samariter-Bund an rund 900 Schulen ein Projekt, das mit Grundschülern richtiges Verhalten bei einem Erdbeben trainiert, und führte entsprechende Workshops mit mehr als 1800 Lehrern durch.
Ebenfalls in Indonesien, dessen schwer zerstörte Provinz Aceh bereits unter einem jahrelangen Bürgerkrieg litt, förderte World Vision Schulmagazine, die friedliche Konfliktlösung und Toleranz thematisieren. Bildungsprojekte in Pakistan wiederum klärten nach dem Beben Lehrer und Schüler über Kinderrechte auf.
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