Montag, 28. August. Libanon nach dem Krieg
So unerwartet wie der Krieg am 12. Juli begann, ebenso unerwartet endete er am 13. August. Die Menschen im Libanon hatten nicht damit gerechnet, dass beide Seiten, die Israeliten und die Hisbollah, ihre militärischen Angriffe am 13. August um 8 Uhr morgens tatsächlich einstellen. Dennoch geschah es. Kurz danach strömten Menschenmassen auf die Straßen in Richtung Süden, um sich dort wieder niederzulassen. Der Hilfsprozess in Beirut und in anderen Gebieten wurde abgebrochen. Schulen und öffentliche Orte leerten sich. Nicht alle, die wieder zu ihren Häusern zurückkehren konnten, hatten Glück. Denn statt ihren Häusern fanden viele Geröll und Steine vor. Im Süden Beiruts und im Süden des Landes wurden nach Schätzungen mehr als 15 tausend Häuser/Wohnungen völlig zerstört.
Am 25. August fuhren ich und andere Helfer gemeinsam nach Jezzine, wo sich bis vor kurzer Zeit viele Flüchtlinge aufgehalten hatten. Die Menschen, die uns erwarteten, wollten sich besonders für die vielen Pakete, Matratzen und Decken bedanken, die wir ihnen zur Verfügung gestellt hatten. Wir freuten uns sehr sie zu sehen und nahmen Anteil an ihren Sorgen und Nöten. Auch versicherten wir ihnen, weiterhin Medizin und andere Hilfsgüter zu schicken, die in ihrer Stadt nicht vorrätig sind.
Um fünf Uhr Nachmittags verließen wir Jezzine in Richtung Marje’youn, eine Stadt, die noch vor einigen Tagen von der Israelischen Armee besetzt worden war. Vor einer Woche war ein Konvoi beim Verlassen der Stadt unter Beschuss der Israelischen Armee geraten. Es gab Schwerverletzte und Tote. Wie Sie auf dem Bild sehen können, wurde die Brücke, die über den Litany Fluss führt, von Düsenjägern vollkommen zerstört - eine von 80 Brücken. Auf unserem Weg nach Sidon haben wir viele solcher Brücken gesehen. In den Straßen zwischen Jezzine und Marje’youn waren große Krater, wie auf dem Bild unten abgebildet ist. Auch Leitungsmasten fielen. Die meisten Häuser, so wie dieses auf dem Bild, hatten große Löcher, wenn sie nicht bereits vollkommen zerstört waren, und müssen wieder aufgebaut werden.
Libanon 10. August -- 22:00 Uhr
Heute Nachmittag haben israelische Flugzeuge kurz vor einer Bombardierung Flugblätter abgeworfen und die Bewohner südlicher Bezirke Beiruts aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen. Daraufhin packten Hunderte in höchster Eile ihre Habseligkeiten und verließen ihre Häuser Richtung Norden. Schulen und öffentliche Gebäude im östlichen Beirut sind bereits überfüllt mit Flüchtlingen. Die hygienischen Zustände verschlechtern sich täglich. Alles entwickelt sich zu einer humanitären Katastrophe. Menschen trinken unsauberes Wasser, Krankenwagen und Hilfsfahrzeuge dürfen nicht in den Süden fahren, Benzinreserven werden in einigen Tagen aufgebraucht sein, Kraftstoff für Elektrizitätswerke reichen nur noch 3 -- 6 Tage... Danach wird der Libanon in tiefe Dunkelheit versinken und Krankenhäuser den Betrieb einstellen müssen. Dies ist kein Hollywood-Film -- es ist Realität im Libanon! Wenn man Menschen fragt, was sie denken oder empfinden, sprechen alle von Furcht.
Die stündlichen Nachrichten schüren die Ängste mit ihren Diskussionen über den Nahen Osten und die Zukunft. Wird ein regionaler Krieg zwischen Syrien und dem Iran gegen Israel hier im Libanon stattfinden? Viele denken, dies ist das Ende der Welt. Es herrscht das Chaos, aber wir hoffen immer noch auf einen Waffenstillstand -- je eher, desto besser. Jede Verzögerung bedeutet neue Tote und Zerstörung. Kann man Frieden schaffen durch Krieg? Ist dies ein Erfolgsrezept? Darf die Gewalt regieren? Werden so immer mehr Menschen zu Selbstmordanschlägen ermutigt?
In den letzten zwei Tagen haben wir wieder Hilfslieferungen in den Süden geschickt. Es gibt noch viele Flüchtlinge, die keine Matratzen oder Decken haben. Jedes Mal, wenn die Reise startet, wird sie von unserem Gebet begleitet. Die Straßen nach Jezzine sind gefährlich und unsicher. Gott sei Dank; alle Pakete und Transporte sind bisher wohlbehalten angekommen. Die Menschen sind sehr dankbar dafür! Zur Betreuung von Flüchtlingen haben wir in unserer Kirche drei Besucherteams eingerichtet. Viele Flüchtlinge sind oft mit mehreren Familien bei Verwandten untergebracht und leben in überfüllten Wohnungen. Geschlafen wird auf dem Fußboden, das Bad und die wenigen Lebensmittel werden geteilt. In einer gastgebenden Familie trafen wir auf einen herzkranken Patienten, der kurz vor einer OP steht. Die Schwester macht eine Krebstherapie. Die Familie hat überhaupt kein Einkommen und kein Geld für Medizin. Wie sollen sie die Schwester, die mit ihrer Familie aus dem Süden floh und nun bei ihnen lebt, versorgen?
Frauen weinen, Männer sind hilflos und Kinder haben ihre Heimat verloren. Tief beeindruckt bin ich von der Nächstenliebe und dem Vertrauen der Spender vom Kinderhilfswerk Global-Care, die unsere Hilfsarbeit unterstützen. Sie investieren in das Leben von wertvollen Mitmenschen. Jeder Cent wird als Ausdruck der Liebe Gottes empfunden. So lange Gott uns mit finanziellen Gaben segnet, werden wir unseren Dienst fortsetzen. Während ich diese Zeilen schreibe, erreichen mich ÜBERWÄLTIGENDE NACHRICHTEN: Ein Waffenstillstand steht unmittelbar bevor. Möge Gott schenken, dass eine neue Phase des Aufbaus anstelle der Zerstörung beginnt: Diese Hoffnung geben wir niemals auf!!!
Freitag, 4. August 2006
Gegenwärtige Situation: Der Ton zwischen Israel und Hisbollah eskalierte seit Mittwoch erneut. Nach den Abendnachrichten von gestern Abend scheinen die Spannungen zwischen beiden Seiten nun auf ihrem Höhepunkt zu sein.
So wurde von 5 Toten und vielen Verletzten unter der Bevölkerung berichtet, die den schweren Kämpfen an der südlichen Grenze des Libanons und dem schweren Beschuss der südlichen Vorstädte Beiruts, zusammen mit 4 Brücken im Norden Beiruts zum Opfer fielen.
Die aktuelle Zahl der Todesopfer beläuft sich auf mehr als tausend, darüber hinaus gibt es über 3000 Verletzte. Davon sind über 45 % Kinder und ältere Menschen, die von beiden Seiten von dem Feuer eingeschlossen sind. Einer unserer Kirchenmitglieder, der jeden Tag zur Arbeit nach Halat fährt, passierte die Kasino-Brücke in Jounieh, kurz bevor eine Bombe einschlug. Letzte Woche haben wir Gerüchte davon gehört, dass das Feuer eingestellt werden solle, doch bisher gibt es keine konkreten Informationen. Daran haben wir uns während des vorigen Krieges gewöhnt.Bevor der ursprüngliche politische Plan durchgeführt wird, scheint es keine Lösung zu geben. Die Libanesen sind immer die Opfer des Krieges. Der Libanon ist immer zwischen zwei Polen aufgeteilt, dem Westen und dem Osten, zwei politische Extreme, eine endlose Tragödie.
Hilfsoperation: Mehrere Menschen von unserer Kirche, Jung und alt, führten diese Woche in dem Kirchengebäude eine Sammelaktion durch, um weitere 250 Pakete für Flüchtlinge vorzubereiten. Jedes Paket besteht aus 10 Artikeln: Zucker, Reis, Teigwaren, Tunfisch, Halawa, Käse, Milch, Corned Beef, Bohnen und Fleisch. Wir haben auch viele Matratzen gekauft, und die Menschen, die auf dem Fußboden schlafen müssen, verfügen nun über Licht.
Freunde oder Verwandte unserer Kirchenmitglieder, die ihre Häuser im Süden verlassen haben, rufen um Hilfe. In der Kirche haben wir 3 Familien untergebracht, die aus 13 Mitgliedern bestehen. Bisher haben wir einen Betrag von ungefähr 8500 $ ausgegeben. Doch angesichts der großen Bedürftigkeit in diesem Gebiet scheint es mir wie ein Tropfen auf einen heißen Stein.
Ich finde keine Worte, um dieses Elend zu beschreiben. Wieder höre ich die Düsenjäger. Weitere unschuldige Menschen werden nun getötet und die Vernichtung nimmt ihren Lauf. Meine Familie und ich haben Beirut zu Broummana für das Wochenende verlassen um eine Ruhepause zu machen. In Gedanken bin ich bei denjenigen, die nicht untergebracht und in Sicherheit sind. Wie lange wird es dauern, bis man zum gesunden Menschenverstand zurückkehrt und das Leben unschuldiger Menschen verschont? Said Mallouh"
Dienstag, 1. August 2006
Es ist nun der zwanzigste Tag und der Krieg ist immer noch nicht beendet. Israel gab bekannt, die Bombenangriffe für 48 Stunden zu stoppen. Doch tatsächlich werden die Dörfer im Süden immer noch bombardiert. Das Qana-Massaker vom gestrigen Tag erinnerte alle Libanesen an Qana in 1966, als israelische Düsenjäger und Raketen zahlreiche Menschen in dem Dorf töteten. Wir sind traurig über die Tatsache, dass Hass und Rache an allen Fronten dominieren und jeden Tag Zivilsten sterben.
In vielen Gebieten im Libanon gibt es einen Nahrungsmittel- und Wassermangel, sowie einen Mangel an medizinischer Versorgung. Von heute an stehen Autos Schlange vor Tankstellen, um ihre Tanks mit 5 Litern Benzin füllen zu lassen. Von heute an wird der Brennstoff für Elektrizitätswerke eine Woche lang ausreichen, danach wird der Libanon in der Dunkelheit untergehen. Seit Samstag fühle ich mich elendig. Es ist eine wahre Tragödie. Nur ein Wunder von Gott kann dieses fortdauernde Töten und die Zerstörung stoppen.
Verschiedene Freunde antworteten auf meinen Aufruf und sandten großzügige Spenden zu der Kirche um zum Hilfsprogramm beizutragen. Im Namen der Not leidenden Menschen danke ich dem Kinderhilfswerk StiftungGlobal-Care in Deutschland, MECO in Zypern und allen Menschen auf der ganzen Welt, die ihr Mitgefühl für die vertriebenen Menschen im Libanon gezeigt und die es uns ermöglicht haben, den Opfern zu helfen. Letzte Woche kauften wir Nahrung für 250 Familien, die in Ain Ebel gefangen sind, eine Stadt im Süden des Libanons, die bevorzugt wird von Flüchtlingen benachbarter Dörfer.
Wir hörten, dass die Menschen dort keine Nahrung hatten und für einige Tage Blätter von Bäumen aßen. Einige Menschen aus der Kirche waren dabei behilflich die Portionen einzupacken, um diese durch die Stadt in das Dorf Jezzine zu senden. Es war ein riskantes Unterfangen, aber am Samstag erhielten wir einen Anruf und erfuhren, dass die Pakete sicher angekommen waren! Morgen werden wir damit beginnen, weitere 250 Portionen zu verpacken. Diese werden erneut zu den Menschen geschickt, die ihre Häuser im Süden verloren haben.
Beirut war gestern Nachmittag wie eine Geisterstadt. Auf unserem Weg zu den Bergen fuhr ich mit meiner Familie nach dem Gottesdienstdurch die Straßen Beiruts. Nicht eine Person war auf der Straße zu sehen. Die Menschen der Stadt sind tief betroffen.
Ich möchte abschließen mit der Hoffnung, beim nächsten Mal einen Brief zu schreiben, in dem ich den Frieden feiern kann.
Möge Gott euch alle segnen.
Said Mallouh
Dienstag, 25. Juli 2006 16:15 Uhr
Während ich diese E-Mail schreibe, wirft die Israelische Luftwaffe 3-Tonnen-Bomben über dem südlichen Teil von Beirut ab - bekannt als Festung und Hauptsitz der Hizbollah.
Es handelt sich hierbei um ein Wohngebiet von Beirut mit einer sehr starken Bevölkerungsdichte. Jeden Tag sehen wir hohe Gebäude, die zusammenstürzen. Der Lärm dieser einstürzenden Gebäude ist erschreckend. Man fühlt die Erschütterung unter seinen Füßen.
Obwohl die meisten Einwohner diesen Stadtteil von Beirut verlassen haben, gibt es immer noch Menschen, die keine anderen Unterkunftsmöglichkeiten haben und in ihren Gebäuden verharren - koste es was es wolle. Jeder von uns, der den verheerenden Krieg von 1975 bis 1990 miterlebt hat, kann die Ge-fühle der Menschen in diesem Gebiet verstehen. Wir hatten genug! Wir waren jahrelang Flüchtlinge in unserem eigenen Land. Wir haben unsere Besitztümer mehrere Male verloren.
Wie lange wird die libanesische Bevölkerung noch diesen hohen Preis für den Konflikt im Nahen Osten zahlen müssen? Wann endet dieser fortwährende Kampf und die fortdauernde Zerstörung unseres geliebten Heimatlandes? Gibt es auf diese Frage eine Antwort? Kann irgendjemand hierauf antworten?
Als ich heute Morgen durch die Straßen von Beirut fuhr, sah ich Massen von Abfällen an jeder Ecke. Der Himmel war mit einer schwarzen Wolke bedeckt. Die Menschen haben traurige Gesichter. Die Zukunft scheint dunkel und unberechenbar zu sein. Die Morgenstunden eignen sich, um Konserven oder Brot einzukaufen. Sobald es Mittag ist, gleicht Beirut einer Geisterstadt: Läden schließen, die Menschen gehen nach Hause, um Schutz zu suchen.
Beirut – eine Stadt, die sonst nachts hell erleuchtet war, hat sich nun in eine dunkle Geisterstadt verwandelt. Die Lichter sind aus. Das Elektrizitätswerk ist außer Betrieb. Ein Teil der Stadt ist ohnehin nicht mit Strom versorgt. Und auf der Straße findet sich keine Menschenseele. Dagegen finden wilde Katzen und Ratten ihre tägliche Mahlzeit in den Abfällen. Die Stadt Beirut hat sich in eine traurige Gegend verwandelt. Der Libanon wartet auf eine Rettungsmission; auf einen politischen und wirtschaftlichen Plan. Wir beten dafür, dass das bevorstehende Treffen mit den Weltführern wieder Frieden in unser Land und unsere Region bringen wird.
Mit der Unterstützung vom Kinderhilfswerk Stiftung Global-Care, Deutschland, werden wir Nahrungsmittel und Hygieneartikel kaufen und diese in Rationen verpackt in südliche Dörfer schicken, die von der Hauptstadt getrennt und isoliert sind. Es gibt tausende Familien, die nur wenig zu trinken und zu essen haben. Häuser wurden in Jezzine und in Ain Ebel geöffnet um vertriebene Familien aufzunehmen.
Die Flüchtlinge schlafen auf dem Boden. Sie benötigen Matratzen und sauberes Trinkwasser. Dies sind dringende Bedürfnisse, wobei es auch wichtig ist, für diese Menschen eine Unterkunft zu finden. Sie haben ihre Häuser verloren und kennen sonst keinen Zufluchtsort.
In dieser Notsituation bitte ich Sie inständig um Ihre Hilfe. Ein Hilfsteam unserer Kirche unterstützt mich bereits in meiner Verantwortung. Wir haben zwei Pläne:
a) Den Flüchtlingen Nahrung, Medizin und weitere notwendige Artikel zukommen
lassen.
b) Den Familien bei der Suche nach einer Unterkunft für den Winter zu helfen.
Über 500 Menschen haben keine Unterkunft. Die Schulen sind überfüllt mit Flüchtlingen und das bedeutet, dass die Schulen ihren Schulbetrieb nicht wie gewohnt Anfang September aufnehmen können, es sei denn, dass diese Menschen in Kasernen oder bereitgestellten Gebäuden unterkommen.
+++ Spendenaufruf +++
Aktion Deutschland Hilft, Bündnis der Hilfsorganisationen,
bittet dringend um Spenden für die Nothilfe weltweit
Stichwort: Nothilfe weltweit
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